Frankfurt am Main, 1.2.2021. Die Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft FBAG fordert die Stadt Frankfurt am Main auf, barrierefreie Standards zu verbessern und aktiv und vorausschauend auch für Wohnraum zu sorgen, der uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar ist, ebenso wie für verschiedene Wohnformen für Menschen mit und ohne Behinderung. Damit Inklusion und Vielfalt in den Nachbarschaften gelebt werden kann, müssen entsprechende Wohnungen in unterschiedlichen Größen entstehen, inmitten der bestehenden Quartiere und in allen Neubauvorhaben. Für die Umsetzung der in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegten Prinzipien selbstbestimmte Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft ist passender Wohnraum eine unabdingbare Voraussetzung.
Wohnungen durchgängig barrierefrei nutzbar bauen
Eine Vielzahl der neuen Wohnungen wird mittlerweile stufenlos zugänglich errichtet. Häufig verhindern jedoch z.B. schwergängige Haustüren, fehlende Möglichkeiten zur Anbringung von Haltegriffen oder Schwellen zu Balkonen und Terrassen eine wirklich barrierefreie Nutzung.
Explizit rollstuhlgerechte Wohnungen fehlen - Zuständigkeit bei Kommune
Wohnungen nach dem höheren Standard DIN 18040 „R“ - uneingeschränkt für Rollstuhlfahrer*innen nutzbar - werden in Frankfurt fast nicht gebaut. (1) Wer nach Unfall oder fortschreitender Krankheit auf diesen Standard angewiesen ist, hat seit Jahren kaum Chancen, in eine passende Wohnung zu ziehen. (2) In einzelnen Fällen bleiben betroffene Menschen lange Zeit in ihren alten Wohnungen, wo sie das Haus nicht mehr verlassen können. Manchmal wird auch jüngeren Menschen ein Umzug in eine Seniorenwohnanlage angeboten, oder sie sehen sich gezwungen, aus Frankfurt wegzuziehen.
Stadtweit zu wenig Raum für selbstbestimmtes Leben in vielfältigen Wohnformen
Wohnraum für kleinere, dezentrale Wohnstrukturen für Menschen mit Assistenz, Betreuung oder Pflegebedarf, die - unter Gewährleistung des Wahlrechts! (3) - in inklusiven Wohnangeboten leben möchten, muss aktiv durch die Stadt geplant und gefördert werden. Beispielsweise junge Menschen mit Behinderung auf dem Weg in die Unabhängigkeit und ihre Familien suchen dringend nach passenden Angeboten. Nadelöhr ist fast immer das Fehlen von geeignetem Wohnraum.
Susanne Bell
Sprecherin Fachausschuss Bauen, Wohnen Freizeit
FBAG – Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft
barrierefreiheit@fbag.de
Vorsitzende: Sabine Eickmann; s.eickmann@fbag.de
Geschäftsführung: Dezernat Soziales, Senioren, Jugend und Recht, Behindertenbeauftragter Sören Schmidt
(1) Die DIN 18040 unterscheidet zwischen allgemein barrierefreien Wohnungen und Wohnungen, die darüber hinaus uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sind. Nach der Hessischen Bauordnung ist der allgemein barrierefreie Standard für 20% der Wohnungen verpflichtend - im Unterschied zu u.a. Rheinland-Pfalz, wo die Bauordnung zusätzlich zu allgemein barrierefreien Wohnungen auch eine kleinere Anzahl explizit rollstuhlgerechter Wohnungen vorschreibt. Hessen sieht Kommunen und Träger in der Pflicht. Vgl. Hess. Landtag, Drucksache 19/5379, S. 96: „Eine ausreichende Versorgung mit uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbaren Wohnungen soll u.a. in der Zuständigkeit der Kommunen und öffentlicher Träger verbleiben.“
Weiterhin wurde in der Hessischen Bauordnung 2018 die bisherige Anforderung „mit dem Rollstuhl zugänglich“ für Räume in barrierefreien Wohnungen gestrichen; hierdurch sich der Engpass voraussichtlich weiter zuspitzen.
Vgl. dazu die Ausschussvorlage Hess. Landtag, WVA 19/40 mit Stellungnahmen der Bundesfachstelle Barrierefreiheit (WVA 19/40, Teil 2), der LGA Hessischer Clubs Behinderter und ihrer Freunde sowie des Sozialverbands VdK Hessen-Thüringen (WVA 19/40 Teil 4).
(2) Vgl. Amt für Wohnungswesen Frankfurt am Main, Tätigkeitsbericht 2018, S. 46, sowie die Tätigkeitsberichte aus den Jahren davor: 2018 konnten nur 5 Haushalte in explizit für Rollstuhlfahrer geeignete Sozialwohnungen vermittelt werden, 2017 waren es 6, damit jeweils weniger als 10% der über das Wohnungsamt Suchenden. Der tatsächliche Bedarf ist höher, denn auch Haushalte mit Einkommen oberhalb der Grenze für einen Wohnberechtigungsschein suchen nach einer solchen Wohnung.
(3) Ausdrücklich muss das in der UN-BRK festgelegte Wahlrecht gewährleistet bleiben, nach dem Menschen die Möglichkeit haben, zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Vgl. UN-BRK Artikel 19 (1).
Zum Weiterlesen:
• Studie "Die Wohnsituation von Menschen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen in Hessen" (Lebenshilfe Hessen / Pestel Institut)
• Online-Petition und Stellungnahme des VdK zur Neufassung der Hessischen Bauordnung:
www.vdk.de/hessen-thueringen
• Positionierungen und Linkliste des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zum Schwerpunktthema „Wohnen ist Menschrecht“:
www.paritaet-hessen.org